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Leseprobe: Basler Farben

Buch: 'Unten am See'

Franz saß auf der Bettkante und schaute über das Dach des Waschhäuschens zum Garten hinaus und überlegte, was er heute tun könnte. Vater und Mutter waren schon längst aus dem Haus und er hatte ausgeschlafen, weil Ferien waren. In der Küche stand eine Tasse, ein Teller, eine Dose mit Schokoladenpulver und Brot zu seinem Frühstück bereit. Auf dem Herd eine Pfanne mit etwas gekochter Milch, die er nur aufzuwärmen brauchte, um darin die Schokolade anzurühren. Aus dem Küchenfenster konnte er direkt in die Badeanstalt hinüber sehen und sogar die Wassertemperaturan-zeige lesen. 22 Grad, was bei Luft geschrieben stand, konnte er nicht lesen. Manchmal wischten ein paar Scherzkekse die angegebenen Werte aus und schrieben irgendwelche Fantasiezahlen hin: Wasser -6, Luft 42 Grad. Franz hatte den Elektroherd eingeschaltet und die Milch blubberte bald unter der Haut, die sich gebildet hatte. Sorgfältig nahm er die Haut mit einem Messer weg und schüttete die heiße Milch durch ein Sieb in die Tasse in die er schon einige Löffel Schokoladepulver getan hatte. Dann setzte er sich hin, trank und aß ein Stück Brot mit Marmelade. Auf dem Tisch lag ein Zettel, worauf die Mutter hingeschrieben hatte, was er einkaufen sollte: Salat, Teigwaren, 2 Paar Wienerwürste und 1 Kilo Brot, daneben das nötige Kleingeld. Die Sonne schien durchs Fenster und die Butter schmolz dahin. Er verschob sie in den Schatten.
Ein plötzliches Krachen unterbrach den Verkehrsfluss auf der Seestrasse, dann einen Schrei. Er lief zum Fenster und sah, dass schon wieder ein Auto mit übersetzter Geschwindigkeit die Kurve bei der Garage verfehlt hatte und mit voller Wucht in den erst kürzlich erneuerten Maschenzaun, des verwilderten Gartens gerast war. Die Türe auf der rechten Seite war durch den Aufprall aufgesprungen. Dort stieg eine Frau aus; sie schien unverletzt, war aber kreideweiß. Sie ging wie in Trance durch das Gestrüpp der Johannisbeeren und des blühenden Sommerflieders, auf dem immer noch die Schmetterlinge flatterten, zur anderen Seite des Wagens, um dem Fahrer, der am Kopf verletzt war, aus dem Wagen zu helfen. Franz hatte seine Tasse mit der Schokolade auf die Fensterbank gestellt und schaute, wie von einem Logenplatz, auf das Geschehen. Der Tankwart von nebenan war herbeigeeilt und hatte aber schon die Türe aufgerissen und dem Fahrer aus dem Wagen geholfen. Dieser konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Zusammen mit der Frau stützten sie den Verletzten und begleiteten ihn bis zur Tankstelle, wo er ohne ihre Hilfe zusammengebrochen wäre. Eine Angestellte der Tankstelle hatte auf dem Boden Wolldecken ausgebreitet, dorthin legten sie den Verletzten. Er schien jetzt bewusstlos zu sein. Kurz darauf war das Horn des Krankenwagens zu hören. Der Verletzte wurde mit dem Nötigsten versorgt, eine Infusion gesteckt und dann provisorisch am Kopf verbunden. Die Frau hatte sich inzwischen auch hingelegt; die Beine hoch gelagert. Beide wurden auf Bahren in den Krankenwagen geschoben und ins Krankenhaus gefahren. Die Polizei inzwischen auch eingetroffen, maß die Bremsspuren und fotografierte die Unfallsituation.
Franz schaute zum zerbeulten Auto hinunter und sah, dass die Sträucher so zum Zaun gedrückt worden waren, dass die Johanniseeren sich jetzt noch besser von außen pflücken ließen. Er ging vom Fenster weg zum Tisch, der jetzt in der prallen Sonne stand. Die Butter war flüssig geworden und die Milch dick. «Da hat jemand einen Zwanziger hineingeworfen, einfach so», sagte Franz. Wie um nachträglich dem Beitrag genüge zu tun, legte Bruno den «Cross Hands Boogie» von Winifred Atwell auf den Plattenteller und drehte an der Kurbel. «So!», sagte er. In der Nacht hatte es ein Gewitter gegeben und es regnete immer noch.«Wenn gestern ein richtiges Gewitter gewesen wäre, dann wäre es heute schön», sagte Franz. «Wenn der Regen langsam kommt, ohne viel Donner und Blitz, dann gibt es einen Landregen. «Bist du sicher?», zweifelte Bruno.«Die Großmutter sagt das. Aber wenn es so richtig blitzt und donnert, dann geht es schnell vorbei. Und es stimmt, was sie sagt. »Sie saßen also in ihrer Hütte, der Regen prasselte aufs Ziegeldach und sie wussten eine geraume Zeit wirklich nicht, was sie mit der vielen Zeit anfangen sollten. So sprachen und taten sie eine Zeit lang gar nichts. Sie hörten, wie der Regen langsam nachließ und immer leiser wurde. Nur noch vereinzelt fielen schwere Tropfen von den Bäumen auf die Ziegel, was sich wie ein Pingpong-Spiel anhörte. Plötzlich ein Lichtstrahl durch die Bäume und ihr Fenster. Die Sonne! @Hans Suter

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